Sonntag, 21. August 2011

REZENSION: "Tiger, Tiger" von Margaux Fragoso

Margaux ist sieben, als sie Peter zum ersten Mal trifft.
"Kann ich mit Dir spielen?" fragt sie ihn, nicht ahnend, dass diese Frage ihr ganzes Leben verändern soll.
Denn Peter Curran ist 51 Jahre alt und hat eine Vorliebe für kleine Mädchen.
Und er hat leichtes Spiel, Margaux für sich einzunehmen, kommt sie doch aus schwierigen Familienverhältnissen mit einem Vater, den sie fürchtet und einer psychisch labilen Mutter.
So wird Peters Haus mit den vielen Tieren für das kleine Mädchen zu einem Paradies auf Erden, und Peter, der alles mitmacht und vor Einfallsreichtum sprüht, der beste Spielkamerad.
Die zunächst spielerischen, sexuellen Übergriffe bleiben unbemerkt...
Margaux wird zu Peters Obsession.
IDADULDFI  bedeutet: "Ich Denke An Dich Und Liebe Dich Für Immer" und steht unter jedem Brief, den Margaux von Peter bekommt... 15 Jahre lang,...jeden Tag.

Margaux Fragoso hat alles aufgeschrieben. Ihr ganzes Leben, das eigentlich noch so jung ist, aber in dem schon so viel passiert ist. So viel Unglaubliches, so viel Leid.
"Tiger, Tiger" ist das schockierende Portrait eines Pädophilen, geschrieben mit der Feder seines Opfers.
Und dieses Opfer beschreibt keinesfalls ein Monster, nein, es erzählt von einem netten und charmanten Mann, einer Vaterfigur, die zu ihr hält, sich um sie sorgt.
Wir lesen die Gedanken und Worte eines kleinen Mädchens, das uns... eine Liebesgeschichte erzählt.
Eine Liebesgeschichte...?
Mein Innerstes wehrt sich gegen diesen Begriff. Kann das denn sein? Es kann.
Wir werden Zeuge des sog. "Stockholm-Syndroms".
Trotz sexuellem Missbrauchs, körperlicher Gewalt und psychischer Manipulation fühlt sich Margaux immer mehr zu Peter hingezogen, hält die "Beziehung" geheim.
Ihre Schutzmechanismen sind für sie ein Spiel.
Sie entwickelt eine emotionale Abhängigkeit von ihrem Peiniger und wird sogar krank, als sie von ihm getrennt wird.
Selbst als Erwachsene hält sie den Kontakt aufrecht.
Erst mit Peters Selbstmord endet der Leidensweg von Margaux, erst da ist es ihr möglich, sich aus seinen Klammern zu befreien.
"Seit Peters Tod war mir, als erwachte ich aus tiefem Schlaf zum Geheul eines Hundes oder Wolfs draußen in der Wildnis. Als hätte ich etwas geträumt, das von Sekunde zu Sekunde blasser wird."

Die Geschichte ist leicht zu lesende, aber sehr schwer verdauliche Kost.
Fragoso bedient sich einer schönen Sprache, die voll im Gegensatz zum Inhalt ihres Buches steht.
Sie erzählt unverblümt. Ohne Rücksicht (vor allen Dingen auf sich selbst) beschreibt sie ihr Erlebtes, selbst vor sexuellen Details macht sie keinen Halt, auch wenn ihr dies besonders schwer gefallen ist, wie sie in einem Interview erzählt.
Mit "Tiger, Tiger" publiziert die Autorin ein Tabuthema, und zwar aus erster Hand.
Sie zeigt den Täter als Menschen, was beim Leser ein gewisses Unbehagen hervorruft, aber auch viel Stoff zum Nachdenken gibt.
Denn es wird sehr deutlich, mit welchen Methoden und wie viel Manipulation ein Pädophiler vorgeht.
Womit letztendlich auch die Frage beantwortet wird, warum ein solcher Missbrauch überhaupt vor den Augen von Eltern, Nachbarn und Behörden möglich ist.

Mich hat diese Autobiographie sehr berührt und aufgewühlt.
Ich frage mich, wie viele Narben die heute 34-jährige Autorin trotzdem zurückbehalten hat...Kann man sich wirklich alles von der Seele schreiben?
Ich hoffe sehr, dass es Margaux möglich ist, mit ihrer Vergangenheit zu leben ...
...und danke ihr für den Mut, dieses Buch zu schreiben!

Aenna                                   








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