Montag, 5. September 2011

REZENSION: "Die Farben der Grausamkeit" von Joseph Zoderer

Der Journalist Richard hat Alles. Eigentlich.
Er hat einen Beruf, der ihn ausfüllt, und eine Familie...
Da ist Selma, seine Frau, mit der ihn eine tiefe Liebe verbindet. Nicht zu vergessen die beiden Söhne Rik und Tom, die aus dieser Liebe hervorgehen.
Eine Bilderbuchfamilie.... Eigentlich.
Denn in Richards Leben gibt es auch noch Ursula. Und auch die liebt er, seit Jahren schon. Trotzdem erfolgt irgendwann die Trennung.
Um Ursula zu vergessen und sein Leben in Ordnung zu bringen, kauft Richard ein altes Bauernhaus hoch oben in den Bergen, das er gemeinsam mit Selma restauriert.
Doch er kann nichts tun gegen seine Sehnsucht, kann einfach nicht aufhören, zwei Frauen zu lieben...

Ich bin mit gewissen Vorurteilen an dieses Buch "Die Farben der Grausamkeit" von Joseph Zoderer herangegangen, ich gebe es zu.
Ich hatte gerade ein paar Seiten gelesen, da wurde ich gefragt, wovon das Buch denn handeln würde. "Von einem Mistkerl, der sogar noch dann seine Geliebte vö..., als seine Frau im Krankenhaus sein Kind entbunden hat", antwortete ich.
Meine Sympathie für Zoderers Protagonisten Richard war nicht gerade überwältigend...
Dazu kommt die Schreibweise des Autors, dieser eigentümliche Stil, der fast gänzlich ohne wörtliche Rede auskommt. Schwierig zu lesen...
Fast missmutig war ich auf einen Kampf durch 335 Seiten gefasst...

Aber es kam ganz anders. Ich verlor mich in dieser Geschichte.
Ich versank in der Poesie des Geschriebenen, die für mich ganz neu war und anfangs so ungewohnt.
Ständig las ich diese besonderen Sätze, Wörter.., wollte mir Marker ins Buch kleben. Das ganze Buch wäre voll davon, wenn ich es nicht irgendwann aufgegeben hätte...
Da ist die Rede von "sommersüß" schmeckenden Kirschen, die zudem noch "nachtklebrig" sind, von "Weihnachtsbaumäpfeln"...
Da liest man Sätze wie: "....Ursula war ihm wie eine kleine Blütenstaubwolke zugeflogen..." ( Seite 22) oder: "...Es tat ihm gut, ihre Lippen wieder als eine Heimschwelle zu spüren..." ( Seite 42)

Zoderer hat eine einmalige Gabe, die Dinge zu beschreiben.
Ich sah den Berghof vor meinen Augen, die alten Obstbäume, die spielenden Kinder, den rauschenden Wald....
Aber nicht nur das Optische versteht der Autor zu vermitteln, sondern vor allen Dingen die Gefühle, das Innerste von Richard.
Seine Zerrissenheit, seine Sehnsucht, seine Folter.
Vieles bleibt aber auch ungesagt oder wird nur angedeutet, so dass genug Raum bleibt für eigene Gedanken, die sich in meinem Fall viel um Richards Frau Selma drehten...
"....Wahrscheinlich hielt sie sich für die Stärkere - und trotzdem sagte sie nicht: Ich weiß, daß du eine andere liebst...."
"Vielleicht liebte sie ihn, weil sie seine Unruhe liebte, die sie fürchtete." (Seite 94)
Und um die Frage, ob so etwas überhaupt möglich ist...Kann man zwei Menschen gleichzeitig auf diese Weise  lieben?

Mehrfach fragte ich mich, wie man denn so schreiben kann, ohne das Ganze womöglich selbst erlebt zu haben?
Ich hatte das Gefühl, eine wahre Geschichte zu lesen, zumal auch der zeitliche Rahmen durch die politischen Ereignisse um den Mauerfall genau festgesetzt ist.

Ich war gespannt, wie das Buch ausgeht, wie Richard sich letztendlich entscheidet, zumal ich selbst kaum in der Lage war, meine Entscheidung zu treffen....

Als ich nach Ende des Buches erneut gefragt wurde, wovon es denn gehandelt hätte, antwortete ich:
"Von einem Mann, der einem tiefen, inneren Konflikt ausgesetzt ist, weil er nur ein Leben hat....in dem ihm aber zeitgleich zwei große Lieben begegnen...."

Aenna                                 


Joseph Zoderer ist auf Lesetour.
Die Termine findet Ihr  hier

4 Kommentare:

  1. Bei diesem Buch war ich hin und her gerissen. Zwar sind wundervolle Zeilen zu entdecken, dennoch empfand ich es zu eintönig und irgendwie auch ein bisschen langweilig. Trotzdem, deine Rezension ist wirklich sehr schön geschrieben. Übrigens sind wieder ein paar schicke Awards unterwegs, und weil ich deinen Blog sehr gerne lesen mag, nominiere ich dich. *grins*

    http://lese-leuchtturm.blogspot.com/2011/09/es-regnet-awards.html

    LG, Tanja

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  2. Vielen Dank, liebe Tanja!
    Ja, mir hat es ungemein geholfen, dass ich das Buch an zwei freien Tagen lesen konnte, also "dranbleiben" konnte. So konnte ich mich richtig reinfühlen, irgendwie unglaublich...
    Vielen Dank auch für die Nominierung (*grins zurück*)
    Um den Awardregen kümmere ich mich dann morgen...:o)))

    Liebe Grüße
    Aenna

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  3. Mich hat dieses Buch auch enorm bewegt, weil die Sprache so wundervoll ist, und die Handlung zugleich so dermaßen gegen all meine Vorstellungen von Treue und Moral verstößt...
    Eine tolle Rezension!

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  4. @Kalliope
    Ja, genau so ging es mir auch....

    LG
    Aenna

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